An manchen Tagen kommt einem ja der Mut etwas abhanden. Nicht etwa, weil man sich nicht mehr trauen würde, Neues zu wagen, sondern viel mehr deshalb, weil man sich irgendwann an alles gewöhnt hat. Es wird beschaulich und bequem und sich immer wieder in völlig neue Situationen stürzen, das kann auf die Dauer auch ganz schön Kräfte zehrend sein. Womit wir beim Thema wären. Deine Kraft.
Mich erreichte ein Frage zum Thema Kräfte einteilen und Selfcare, auf die ich gerne antworten möchte.
Gerade das Graphic Recording ist ja unglaublich anstrengend. Die Aufregung vor einer Veranstaltung, dann rödelt man außerdem (beim analogen Zeichnen) seine Graphic Wall auf und den Stiftekoffer, Papier aufziehen etc. Kurz gesagt, rein körperlich gesehen ist das analoge Zeichnen schon so eine Sache, die ich mir mit 60 nicht mehr vorstellen kann. Aber abgesehen davon, ist das simultane Übersetzen in die Bildsprache gepaart mit dem langen Stehen und den oft wenigen bis gar keinen Pausen zwischen drin ein Kraftakt für Körper und Geist. Nun wurde ich also gefragt, wie ich mich für so einen Job wappne, wie ich dafür sorge, dass es mir gut geht, während ich zeichne.
Beim Grpahic Recording fällt es mir sogar oft leichter, mich um mich selbst zu kümmern,
als im Alltag generell. Daher nun anbei einige Wohlfühl-Tipps für alle Graphic Recorder oder solche, die es werden wollen.
Ablaufplan
Für mich ist das wichtigste immer der Ablaufplan. Wann ist meine volle Aufmerksamkeit gefordert, wann gibt es Kaffeepausen, in denen ich mal kurz abschalten, auf die Toilette gehen oder mir etwas zum Essen oder Trinken holen kann. Oder aber, einfach das Bild kolorieren kann, wenn vorher noch keine Zeit dafür war. Ich markiere mir in diesen Ablaufplänen (die ich mir vorab immer schicken lasse), welcher Timeslot heikel werden könnte und wann ich wieder etwas durchschnaufen kann.
Anfahrt und Übernachtung
Time is money, ja, so ist es. Und mir ist klar, dass manche Institutionen auch Geld sparen müssen. Aber Sicherheit sollte immer vorgehen, wenn es um Dich und Deinen Job geht. Ich hatte so etwas wie ein Erweckungserlebnis vor zwei Jahren. Da hatte ich einen Job in Österreich zugesagt, der morgens früh begann und am späten Nachmittag endete. Eine Übernachtung wurde mir bezahlt, die ich einen Tag vorher in Anspruch nahm. Die Anreise dauerte mit dem Auto 3 Stunden. Das Graphic Recording am folgenden Tag lief prima und ich war um 17 Uhr mit Abbau fertig. Dann setzte ich mich ins Auto. Es war Winter und die Fahrt aus dem österreichischen Nirgendwo bis zur Autobahn führte über zugeschneite Dorfstraßen. Es war dunkel, glatt und ich konnte im Schneegestöber die Hand kaum vor Augen sehen, hinter mir ungeduldige Autos, die hin und herschwänzelnd auf eine Möglichkeit warteten, überholen zu können. Dann noch diese bleierne Schwere in den Gliedern und auf den Augen nach dem Graphic Recording. Ihr könnt Euch vorstellen, wie ich mich gefühlt habe. Ich fuhr an einem Stück nach Hause, aber mir war klar, dass ich das so niemals mehr machen würde. Daher recherchiere ich nun sehr gut vorab, wie lange mich die Anfahrt zum Job kostet. Ich versuche fast nur noch Zug zu fahren. Abreisen vor 8 Uhr morgens nehme ich nur in Kauf, wenn es nicht anders geht. Manchmal signalisiert mit der Kunde, dass alle Mitarbeiter für den Workshop aus einer anderen Stadt auch morgens anreisen. Ich lehne das ab, denn bei einer so hohen Konzentrationsleistung für ein Tagesrecording, kann ich nicht morgens um 6 Uhr am Hauptbahnhof im Zug sitzen und abends um 18 Uhr wieder zurück reisen. DAS GEHT FÜR MICH NICHT!
Essen & Trinken
Wenn ich für mich oder eine Gruppe von Graphic Recordern einen Job annehme und ich merke schon vorab, dass Anfahrt und Start der Veranstaltung sehr knapp kalkuliert sind, frage ich immer, wann es die Möglichkeit gibt, etwas zu essen. Anfangs hatte ich da immer etwas Hemmungen. Ich hatte Sorge, das könnte unprofessionell rüberkommen. Aber mittlerweile, kann ich das ganz frei von der Leber weg fragen, denn ich habe gemerkt, dass das Essen für mich wahnsinnig wichtig ist. Wir sind z.B. als Gruppe nach Leipzig gefahren und ich hatte die Planung und Koordination in den Händen. Jeder fuhr morgens aus der Heimatstadt los und wir trafen uns um 12 Uhr mittags. Der Job sollte um 14 Uhr beginnen. Da musste ich natürlich fragen, ob noch die Möglichkeit bestünde, etwas zu essen. Denn mal eben was am Bahnhof einwerfen…muss ja nicht unbedingt sein. Stellt Euch auch immer eine Flasche Wasser oder eine Cola an Euren Arbeitsplatz. Viel trinken hilft. Und wenn Ihr verantwortlich seid für die Gruppe, dann kümmert Euch um das leibliche Wohl für alle. 😉
Heimkommen
Mittlerweile weiß meine Familie, dass ich nicht mehr aufnahmefähig bin, wenn ich nach Hause komme. Gerade, wenn ich zwei Tage hinter einander gezeichnet habe. Jeder Mensch ist anders. Bei mir geht einfach nix mehr, wenn ich heimkomme. Ich möchte nichts hören und nichts sehen. Füße hoch, Bierchen trinken und früh schlafen gehen. Ich plädiere für ein „bei sich bleiben“, was bedeuten soll: Nehmt Eure Bedürfnisse ernst. Und wenn die Kinder es voll uncool finden, dass eben heute keiner übernachten darf, dann ist es halt so. Pause und Ruhe im Karton.
Nicht zu viele Jobs
Ich bin sehr froh, dass ich mittlerweile viele Illustrationen für Unternehmen anfertige, die ich im stillen Kämmerlein und nach telefonischer Absprache zeichnen kann. Das Graphic Recording macht sehr viel Spaß und ist immer wieder spannend, aber mal ehrlich: Ich persönlich kann nicht jeden Tag ein Graphic Recording annehmen. Ich weiß, dass das viele KollegInnen schaffen, bei mir geht das nicht. Drei Recordings in der Woche sind das höchste, was ich leisten kann, dann aber nur, wenn nicht jede Woche so aussieht. Optimal ist für mich ist eins pro Woche. Und damit komme ich auch schon zu meinem letzten Punkt:
Nein sagen
Wenn wir über Qualität sprechen im Bereich Graphic Recording, dann müssen wir auch darüber sprechen, Jobs ablehnen zu dürfen. Weiterreichen an wunderbare KollegInnen ist eine Option. Wenn man selbstständig ist, hat man ja immer ein bisschen das Gefühl, dass man alles annehmen müsse. Für schlechte Zeiten und so. Aber wenn dein Bauch dir sagt: Ich schaffe das nicht, es ist zu viel. Dann lass es. Wichtig ist nur, dass du den Kunden nicht hängen lässt, sondern immer eine zweite Option parat hast.
Abschließend möchte ich sagen: Es ist keinem damit geholfen, wenn Ihr nach 6 Monaten ausgebrannt seid, weil Ihr nicht mehr könnt. Macht es Euch schön – nur dann entstehen auch tolle Bilder für Eure Kunden.
Nur wer brennt, kann ausbrennen!
Im nächsten Blogpost geht es um das Thema „Träume wahr werden lassen“.
Liebe Grüße Eure Heike aus dem [wa]schatelier
[…] besorgte mir also einen Tisch und eine Metaplanwand und zog mein Papier (das schlechte Papier) darauf auf. Der Ablauf des E-Days war so geplant, dass Besucher erst einmal herum wandern, um sich […]